Das Kapitel befaβt sich mit der Frage der Reflektierung fremder ethnographischer und geographischer Fakten in der Volksprosa der ethnisch gemischten Regionen des böhmischen Riesengebirgsvorlands und des Tschechischen Kladsko (Podkrkonoší und české Kladsko) in den 10er und 20er Jahren unseres Jahrhunderts, ais o vor und nach der Entstehung des selbständigen tschechoslowakischen Staates, in einer Zeit, als sich unter dem Einfluβ der gesellschaftlichen und politischen Veränderungen Anzeichen von hdtureller Intoleranz gegeniiber allem Anderen, Fremden, Unterschiedlichen im allgemeinen Bewufitsein zu verbreiten begannen. Analysiert wurden die in den Sammlungen „Povídky kladské“ und „ Lidové povídky z českého Podkrkonoší - Podhoří západní a Ukrají východní “vom Sammler und Schriftsteller Josef Stefan Kubín zusammengetragenen Volksgeschichten. Der Begriff „Volksgeschichten“ schliefit alle Genres der Volksprosa, Märchen, Sagen, humorvolle Erzählungen, Anekdoten und mündliche Überlieferungen ein. Die zwischenethnischen Beziehungen treten vor allem in humorvollen Erzählungen und Anekdoten in den Vordergrund’ die fremde Sprachen (Deutsch, Jiddisch), ihre Träger, aber auch diejenigen parodieren, die sich diese Sprachen zu lernen versuchen. Mit Humor werden auch andere Gewohnheiten des deutschen undjüdischen Ethnikums geschildert. Sprachen und Gebräuche exotischer Völker (Japaner, afrikanische Völker, aber auch Russen und Roma) werden in Anbetracht der unterschiedlichen geschichtlichen Situation noch nicht reflektiert. Für Märchen und Sagen sind Motive aus fremden Ländern, von fremden Völker und ihre Bräuche eine neue Quelle der Bereicherung undAktualisierung des Genres, und sie sind deshalb relativ häufig. Die Analysen zeigen, daβ sich in dem von uns untersuchten Muster der Volksprosa aus ethnisch gemischten Regionen Anfang des 20. Jahrhunderts das allgemeine Prinzip der Intoleranz gegenüber kidturellen Unterschiedlichkeiten und Andersartigkeiten (Abspaltung von der deutsch oder anders sprechenden oder lebenden „übrigen“ Bevölkerung oder sogar aggresive Formen der „Verteidigung“ gegenüber „anderen, fremden“ Mitbürgern) noch nicht deutlich reflektieren, im Gegenteil, die multikulturellen Verhältnisse in den genannten Regionen trugen zur Bereicherung des Repertoires der Volkssprachkunst bei.